Ein paar Worte zum Thema "TANTRA" -1 (2)

22.11.2014

 

Ein paar Worte zum Thema “TANTRA“ - 1 (2)


In diesem zweiteiligen Beitrag möchte ich mich dem Thema „Tantra und der Gebrauch des Verbotenen“ widmen. Ein Thema, das unbedingt der Klärung bedarf, da vieles im Zusammenhang bereits mit dem Begriff, insbesondere jedoch mit den philosophischen und praxisbezogenen Lehren des Tantra in der westlichen Welt so gänzlich missverstanden wird. Mir persönlich geht es hierbei um Klarheit bei einem zugegebenermaßen komplexen und komplizierten Sachverhalt.

Dieser Gebrauch des Verbotenen sah zur Blütezeit des Tantra in der Tat die zeitweilige, rituelle Überschreitung von gesellschaftlichen Regeln vor. So unter Umständen auch den rituellen Gebrauch von Sexualität und den Genuss von Alkohol und Fleisch. Doch ging es hierbei nicht um das, was heutzutage oftmals in westlichen Yoga- und (sogenannten) Tantra-Kreisen damit in Verbindung gebracht wird. Ganz abgesehen davon war die praktizierende Klientel zahlenmäßig geradezu winzig - aus gutem Grund. In aller Deutlichkeit muss darauf hingewiesen werden, dass diese geheimen Rituale nicht auf Genuss abzielten, so wie das heutige Neo-Tantriker für selbstverständlich erachten: "Tantra – ganz klar, da geht’s um Sex."

Es ging bei all diesen Ritualen – und genau das waren sie – nie wirklich um Sexualität als solche bzw. sinnlichen Genuss, sondern um ein einziges Ziel:

nämlich um das Erkennen der wahren eigenen Identität, der unmittelbaren Erfahrung des Höchsten Allumfassenden Bewusstseins. Niemals ging es in diesen besonderen Ritualen um Lustgewinn oder ähnliches. Auf der Grundlage der Übereinstimmung von Sexualität und Spiritualität wurde der rituelle Geschlechtsverkehr zur Erlangung der höchsten Erkenntnis und des höchsten Bewusstseinszustandes verwendet – Sexualität nicht als Ziel, sondern als Weg aus Illusion und Gefangenschaft. Sozusagen der „Sprung in den tiefen Brunnen“ um nach oben in die Jenseitswelt zu gelangen („Frau Holle" lässt grüßen).

Das alles birgt natürlich die Gefahr des menschlich-allzumenschlichen Missverständnisses – weshalb die tantrischen Autoritäten diese Lehren und Praktiken im Geheimen und nur mit Auserwählten (quasi "Fast-Erleuchteten") praktizierten. Und doch ließ es sich nicht vermeiden, dass einiges von dem an die Öffentlichkeit geriet, und – man ist geneigt zu sagen natürlich – völlig fehlinterpretiert wurde. Auch von den Briten, die nach Indien kamen, und alles Indische durch ihre viktorianische, will sagen christlich-moralisierende, Brille betrachteten. Und auch später – also heute – von den durchaus interessiert-wohlwollenden, aber ahnungslosen, Vertretern esoterisch-spiritueller Kreise der westlichen Welt.

Deren bis zum heutigen Tag andauernde Unkenntnis zeigte und zeigt sich bereits darin, dass sie zwischen den „Werken und Lehren des Tantra“ (Tantra-Shastra) und den indischen „Werken und Lehren der Erotik und Liebeskunst“ (Kama-Shastra) nicht zu unterscheiden vermochten – oder wollten.

Auf dieses folgenreiche Missverständnis ist von Seiten der Wissenschaft – namentlich der Indologie – mehrfach hingewiesen worden. Was ich an dieser Stelle als Indologe mit der wissenschaftlichen Ausrichtung „Yoga, Tantra, indische Mystik“ noch einmal wiederholen möchte. Um nicht den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei meiner hier dargelegten Auffassung um eine vernachlässigenswerte Einzelauffassung handelt, möchte ich einen Auszug aus einer der wenigen ernst zu nehmenden deutschsprachigen Internetseiten (von Silvio Wirth) zu diesem Thema zitieren:

„In der heutigen Zeit erzeugt dieses Wort allerlei Assoziationen, die erregend, ablehnend oder ärgerlich sein können. Als zeitgenössischer Tantralehrer stelle ich immer wieder fest: viele Menschen haben schon davon gehört, haben eine vage Ahnung, worum es dabei geht, und viele meinen sogar, genau zu wissen, was Tantra ist, und liegen dabei nicht selten falsch.

In der heutigen Zeit hat sich Tantra in der Wahrnehmung vieler Menschen zu einer indischen Spielart der Liebeskunst entwickelt und wird oft in die Nähe der Lehren des Kamasutra gestellt, von dem wir Westler auch meist nur eine vage Ahnung haben. Tantra, so kann man hören, hat etwas mit Indien und Sex zu tun, bzw. damit ist eine bestimmte Form der erotischen Massage gemeint. Oder, noch schlimmer: Tantra, das sind Seminare für Leute, die sich nicht Trauen, so richtig ranzugehen. Oder: Tantra ist etwas für Paare, damit da die Lust wieder erweckt wird.

Da ist ein Körnchen Wahrheit drin. Und im Ganzen dennoch weit verfehlt. Tantra ist von seinem Ursprung her ein spiritueller Pfad, der sich innerhalb der indischen Religionen des Hinduismus und Buddhismus entwickelt hat, und der eine radikale Herangehensweise an die Fragen des Lebens bedeutet.

Tantra, so könnte man sagen, ist eine systematische und experimentelle Methode, die zur Erweiterung des Bewusstseins führt. Am Ende des Weges steht die völlige Entfaltung des menschlichen Potentials – auch Erleuchtung oder Befreiung genannt.“1

Kama-Shastra – das auch bei uns bekannte Kama-Sutra ist innerhalb dessen eines der grundlegenden Werke – die traditionelle indische Lehre oder Wissenschaft von der Erotik und Sexualität, ist eine hochentwickelte, uralte Wissenschaft, in deren Mittelpunkt diverse erotisch-sexuelle Techniken zur Erlangung vollkommener sexueller Erfüllung stehen. Wann immer also wieder einmal ein Buch oder Seminar (zu den bereits vorhandenen zahllosen Büchern und Seminaren dieses Themas) mit einem Titel wie z.B. „Sexuelle Erfüllung durch Tantra“ angeboten wird, können wir mit vermutlich schlafwandlerischer Sicherheit davon ausgehen, dass der Autor oder Seminarleiter nicht wirklich irgendwelche ernstzunehmende Kenntnis über Tantra bzw. die traditionellen tantrischen Werke hat - und in vielen Fällen auch nicht haben möchte. Denn man könnte sich in den TANTRAS (z.B. Mahanirvana-Tantra, Kularnava-Tantra, etc.) hierzu ohne weiteres informieren. Von vielen dieser autoritativen Werke der Tantrischen Tradition liegen brauchbare Übersetzungen vor. 

Hier werden einfach die Etiketten verwechselt oder absichtlich vertauscht. Man kann mittlerweile mit fast schlafwandlerischer Sicherheit sagen: Nahezu überall da, wo Tantra drauf steht, ist keines drin. Vermutlich handelt es sich bei derartig bezeichneten Seminaren um etwas, für das zum Beispiel der Titel „Kama – die indische Liebeskunst“2 weitaus zutreffender wäre. Das wäre dann völlig korrekt gekennzeichnet und somit OK. Aber vermutlich käme niemand. 

Ich persönlich finde weniger jenes Phänomen störend, das man den „Zeitgeist der fehlenden Ernsthaftigkeit“ nennen könnte – was unter anderem zu der Spaßgesellschaft führt, die hier in unserer Kultur seit längerem fröhliche Urständ feiert. Denn das hat es, wie ich bereits ausführte, zeitweilig wohl auch zu früheren Zeiten gegeben. Die Phantasien der Menschen sind eben immer die gleichen – und die sexuellen Phantasien gehören nun mal zu den mächtigsten. Was ich hingegen wirklich fragwürdig finde, ist unsere westliche Achtlosigkeit oder gar Arroganz, mit der wir auf solche Kostbarkeiten uralter Kulturen und geheimer Wissensschätze zustapfen und dabei dermaßen die Gewässer trüben, dass nichts mehr heil bleibt oder sich nichts mehr klar erkennen lässt.

Solche tiefen Geheimnisse, hohen Erkenntnisse und gewaltigen Kräfte, wie sie die Tantrische Tradition für spirituell gereifte Menschen zugänglich machte und macht, lassen sich nicht einfach mal eben so erlangen. Nichts hiervon lässt sich wirklich in einem oder auch zwei Wochenendseminar aneignen oder in einem Buch schnell nachlesen. Das sind unsere westlichen Vorstellungen, die im Zusammenhang mit diesem uralten Kulturgut und durchaus noch immer gewahrten Geheimnissen des Yoga und Tantra nicht greifen. Nur dem, der sich ihnen in Geduld, Ernsthaftigkeit und innerer Bereitschaft nähert, einen langen und anspruchsvollen Weg auf sich zu nehmen, offenbaren sie sich aus freien Stücken – damals wie heute. Entwicklung kennt keine Abkürzungen.

 

1 http://www.Tantra-tradition.de/index.html

2 Nicht zu verwechseln mit Karma, wörtlich: Handlung, Tat (häufig im Sinne des kosmischen Ursache-Wirkungs- oder auch Tat-Vergeltungs-Gesetzes).

 

Fortsetzung in Teil 2 ...........